In unserer Kultur wird Sexualität als das Gegenteil von Vernunft angesehen. Es wird negativ behaftet mit Scham, etwas Unanständigem, Unmoralischem oder auch einfach mit etwas, das man besser verheimlichen sollte. Was dem zu Grunde liegt ist unser Verständnis von Natur und Kultur. Der Begriff Dichotomie beschreibt eine Schwarz-Weiß-Denkweise. Das bedeutet, der Mensch unterscheidet lediglich in zwei Kategorien: Schwarz oder Weiß, Ja oder Nein, Natur oder Kultur. Beides kann nicht zusammen existieren und hebt sich sogar gegenseitig auf. Aber woran liegt das? Um zu überleben, muss der Mensch sich orientieren und sein Umfeld verstehen können. Gleichzeitig will er dabei den kleinstmöglichen Arbeitsaufwand haben – logisch wir müssen ja Energie sparen. Um uns zu orientieren erstellen wir Regeln und Konstrukte, mit denen wir unsere Welt erklären können. Mögliche Ausnahmen von der Regel werden meist als Abweichung von der Norm angesehen. Und eine Abweichung von der Norm zieht soziokulturell gesehen eine kollektive Ausgrenzung nach sich. Wie zum Beispiel die Homosexualität. Es liegt in der Natur des Menschen sich möglichst klar zwischen 2 Werten entscheiden zu können. So ist es für unseren Verstand am einfachsten. Dies spiegelt sich beispielsweise auch in unserem völlig veralteten binären Geschlechtssystem wieder. Der Fehler an der ganzen Sache? Zwar erleichtert uns eine vereinfachte Weltanschauung die Orientierung, allerdings ist unsere Welt einfach viel zu komplex für eine solch simple Denkweise. Wie wirkt sich dieser Zusammenhang nun auf unsere Sexkultur aus?Die Art und Weise, wie wir in unserer westlichen Gesellschaft mit Sexualität umgehen reduziert diese auf ein Minimum. In dem wir nur über einen kleinen Teil des gesamten Spektrums aufklären, wird Sexualität an vielen Stellen mit Angst und Unsicherheit verknüpft. Ganz nach dem Motto: Hauptsache keinen Fehler machen. Denn wenn wir Fehler machen, könnten wir möglicherweise die Kontrolle über unser Leben verlieren. Abstrahiert wäre das wie als würden wir die Fähigkeit mit unseren Augen sehen zu können ausschließlich dafür benutzen, uns nicht zu verlaufen. Dabei ermöglichen uns unsere Augen so viel mehr als nur das. Unser Körper im Allgemeinen ist nicht nur eine materielle Hülle aus Kohlenstoff-Atomen. Er ist viel mehr die Gesamtheit aller Körpererfahrungen, die wir in unserem Leben bisher gemacht haben. Jede neue Erfahrung wirkt sich auch auf unser Körperempfinden aus. Der Umgang mit sich selbst und seiner Sexualität hängt somit ebenfalls von den Erfahrungen ab, die man in diesem Bezug gesammelt hat. Die Vermittlung von Gefühlen, wie Scham prägt uns seit unserer Kindheit. Die Unterdrückung von noch natürlicher, unbeeinflusster Sexualität im Kindesalter spiegelt sich in unserer Sexualität wider. Die gesellschaftlich kultivierte Rolle des starken, emotionslosen Mannes, der seine Familie ernähren muss und keine Gefühle zeigen darf, kann sich in seiner Sexualität wiederspiegeln. Das damit verbundene gesellschaftliche Bild der unterwürfigen Frau, die für die Kindererziehung zuständig ist, die gehorchen muss, sich klein halten soll, über sich ergehen lassen muss, spiegelt sich in unserer Sexualität. All das prägt unsere Gesellschaft und damit auch automatisch die Erfahrungen, die wir durch sie machen werden. Die starke, künstlich hervorgerufene Sexualisierung, unnatürliche Pornografie und ein verschobenes Bild der Frau und des Mannes, sorgen dafür, dass sich unsere Sicht auf Sexualität verändert. Weg von natürlichen Werten hin zu den kulturell geprägten. Negative/ Gewalt-Erfahrungen, wie Mobbing, Missbrauch, Demütigung spiegeln sich maßgeblich in der Sexualität wieder, da dem Betroffenen das Gefühl von Kontrolle und Selbstermächtigung entzogen wird. Die Konsequenz ist ein Distanzieren von den eigenen Gefühlen und Emotionen und schließlich auch vom eigenen Körper. Die Folge: Ein verletztes Körpergefühl – der Körper wird zum Feind.Eine bewusste, aufgeklärte und gesunde Sexkultur ist von essentieller Bedeutung, wenn wir kollektiv zurück zu einem guten Körpergefühl, Selbstakzeptanz und einer gesunden Sexualität möchten. Der Umgang mit Sexualität in unserer Gesellschaft ist der Schlüssel. Wie sieht es in anderen Kulturen aus? Indien hat das Kamasutra, in Japan gibt es riesige Museen nur über Sex und dessen Aufklärung, in China wurden die Frauen vor ihrer Hochzeit mit Geschenken überhäuft, die Inspirationen für mögliche Sexstellungen gaben. In der westlichen Welt hingegen gilt Sexualität als Gegenteil von Kultur. Die Tabuisierung der Sexkultur wurde demnach als Voraussetzung für eine hoch entwickelte Kultur angesehen. Statt einer positiven Sexkultur etablierten wir die Scham und zu allem Überfluss noch eine extreme Überheblichkeit gegenüber anderen „primitiveren“ Kulturen, bei denen aufgeschlossener mit dem Thema umgegangen wird. Anwesenheit von Sexualität wurde mit dem Fehlen von Kultur gleichgesetzt. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall. Durch die Tabuisierung in der westlichen Welt blieben bzw. bleiben viele Informationen unbeachtet. Zum Beispiel die Aufklärung über die weibliche Lust. Auch heute gibt es diesbezüglich noch Defizite in unserer Sexualaufklärung. Auch heute noch werden einige Medikamente in der Pharmazie nur auf die männliche Anatomie angepasst, weil der männliche Körper lange Zeit als Norm angesehen wurde. Also eigentlich sind wir diejenigen, die sich eine Scheibe vom „primitiven“ Volk abschneiden dürfen. Wie shiften wir also unsere Sexkultur? Wichtig ist ein positiver Umgang mit Sexualität und damit eine positive Sexkultur. Die Kultur versteht sich als der bewusste Umgang mit dem Gegebenen. Und eine Kultur entsteht, in dem viele Menschen diesen Umgang kultivieren. Sexualität ist nichts Passives. Wir als Lebewesen, können sie steuern und steigern. Somit bringt jeder Einzelne von uns bereits seine eigene, individuelle und persönliche Sexkultur mit. Und wenn wir uns und unsere persönliche Sexkultur einmal ganz bewusst losgelöst von der kollektiven betrachten und können wir dem entgegenwirken. Wenn wir uns bewusst mit unseren Empfindungen und Gefühlen auseinander setzen können wir uns ein eigenes Bild von unserem Körper und unseren Bedürfnissen schaffen. Eigenverantwortung statt Fremdbestimmung. Eine positive Sexkultur entsteht also in dem wir anerkennen, dass wir selbst Schöpfer unserer eigenen Sexualität und Lust sind. Je mehr Menschen einen bewussten Umgang mit ihrer Sexualität ausleben, desto näher kommen wir einer positiven Sexkultur, welche sich maßgeblich auch auf die kommenden Generationen auswirken wird. Auf diese Weise können wir einen respektvollen und offenen Umgang mit unserer Körpervielfalt, unseren unterschiedlichen Sexualitäten, Geschlechtsidentitäten, Vorlieben und Bedürfnissen schaffen. Eine Welt, in der sich niemand mehr klein halten oder verstecken muss – in der jeder Mensch der sein darf, der er gerne sein möchte.